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MEINE MEINUNG zum 4. Bevölkerungsschutzgesetz

Heute stimmen wir über eine befristete Änderung des Infektionsschutzgesetzes ab. Damit reagieren wir auf einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen. Deutschland befindet sich in der dritten Welle. Die Belegung der Intensivbetten ist schon jetzt auf hohem Niveau. Die engen Vorgaben des Datenschutzes behindern offenkundig eine Wirksamkeit der digitalen Kontaktnachverfolgung.

Die erforderlichen Instrumente stehen den Ländern bereits heute zur Verfügung. Bislang fehlt es aber an einer Einheitlichkeit der Umsetzung. Deswegen brauchen wir bundesweit einheitliche Regelungen, nun per Gesetz.

Ich stimme diesem Gesetz nach reiflicher Überlegung zu, auch wenn ich nach wie vor Defizite sehe.

Der Entscheidung heute ist eine intensive Diskussion auf allen Ebenen vorangegangen. Mit dem Parlamentskreis Mittelstand habe ich mich auf der Grundlage der Sachverständigenanhörung am Freitag unterschiedliche Änderungen an dem Gesetzentwurf stark gemacht. Gemeinsam konnten wir erhebliche Verbesserungen erreichen. Die aus meiner Sicht wichtigsten sind:

  • Streichung der Zustimmungsfiktion

Der Gesetzentwurf sah in § 28b Abs. 6 (Verordnungsermächtigung der Bundesregierung) zwar eine Einbindung des Bundestags vor - allerdings mit einem Automatismus (sog. Zustimmungsfiktion nach 7 Tagen). Am Ende wäre dies auf einen „Blanko-Scheck“ für die Bundesregierung hinausgelaufen. Diese Zustimmungsfiktion ist gestrichen worden. Damit wird es auch Rechtsverordnungen nur mit aktiver Zustimmung des Bundestages geben können.

  • Befristung aller Notbremsenmaßnahmen bis zum 30. Juni 2021

Es wird und darf keine Impfpflicht geben. Diese wäre aber nach der Ursprungsfassung erforderlich gewesen, um die Einschränkung der Grundrechte aufzuheben. Es fehlte damit ein Korrektiv gegen eine langfristige Beschränkung persönlicher und unternehmerischer Freiheiten. Nun sind die Maßnahmen befristet worden. Diese enden spätestens am 30. Juni 2021.

  • Einzelhandel bleibt möglich

Die ursprünglich angedachten Regelungen für den Einzelhandel gingen weit über das hinaus, was im Stufenplan der Bund-Länder- Konferenz am 3. März beschlossen worden ist. Obwohl alle Experten von einem sehr geringen Ansteckungsrisiko im Einzelhandel ausgehen, sollten beispielsweise auch kurzzeitige Verkäufe verboten wer- den, die an der Tür abgewickelt werden. Nun bleiben click&collect-Angebote weiterhin uneingeschränkt möglich. Auch click&meet wird mit Nachweis eines takesaktuellen negativen Corona-Tests bis zu einem Inzidenzwert von 150 möglich bleiben. Gemischte Sortimente bleiben unberührt. Das ist eine signifikante Verbesserung für den Einzelhandel. Leider konnte eine Absenkung der Quadratmeterzahl pro Kunde nicht erreicht werden.

  • Umgang mit Geimpften

Besonders zu berücksichtigen war schließlich die Frage, wie mit bereits geimpften Personen umzugehen ist. Das Gesetz gibt der Bundesregierung nun den Spielraum, per Rechtsverordnung mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat Geimpften – ebenso wie negativ Getesteten oder nach einer Covid-Erkrankung immun gewordenen Menschen – ihre Freiheitsrechte zurückzugeben. Auch das ist aus meiner Sicht eine klare Verbesserung im Vergleich zum Ursprungsentwurf.

Nach wie vor habe ich allerdings hinsichtlich folgender Punkte schwere Bedenken:

  • Festhalten an der 7-Tagesinzidenz als allein maßgeblichem Kriterium für zum Teil erhebliche Grundrechtseingriffe

Das Gros der Sachverständigen kritisiert diese Fokussierung. Zum einen gäbe der Wert infolge der Ausweitung der Testaktivitäten zunehmend weniger die Krankheitslast und unterliege schwankenden Erfassungswahrscheinlichkeiten unabhängig vom eigentlichen Infektionsgeschehen. Zum anderen bestünde bereits nach der letzten Änderung des Infektionsschutzgesetzes die Möglichkeit Kriterien wie Impfstatus, Hospitalisierungsrate/Intensivbettenauslastung, Reproduktionszahl, Quote der Positiv-Testungen, Möglichkeiten der Nachverfolgung zu berücksichtigen. So hat auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Stufenplan „ControlCovid“ eine ganze Palette an epidemiologisch relevante Kriterien berücksichtigt.

Die Bundesregierung begründet das Festhalten allein an der 7-Tagen-Inzidenz mit den Erkenntnissen der vergangenen 13 Monate. Diese würden zeigen, dass dieser Wert verlässliche Prognosen über die Pandemieentwicklung erlauben würde. Andere Werte wie der R-Wert - also die Ansteckungsrate - oder die Auslastung der Intensivstationen hingen mittelbar mit der Inzidenz zusammen. So folge beispielsweise die Steigerung der Zahl der Intensivpatienten oder die Zahl der Todesfälle mit einer mehrwöchigen Verzögerung dem Anstieg der Neuinfektionen. Die Sieben-Tage-Inzidenz sei zielgenau, weil sie tagesaktuelle Schwankungen, die auch zufallsbedingt sein können, ausgleiche. Sie sei außerdem für die Bürgerinnen und Bürger klar und nachvollziehbar und könne tagesaktuell und landkreisgenau auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts nachgesehen werden. Insofern sorge sie auch für Rechtssicherheit.

  • Ausgangssperren

Ich halte die Ausgangssperre nach wie vor für rechtlich problematisch und für einen massiven Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung. Sie ist deshalb zu Recht hohen Hürden unterworfen.

Die Bundesregierung hat versichert, dass diese Regelung vor Gericht Bestand haben würde, weil das gesamte Gesetz nur zeitlich begrenzt in Kraft ist. Diese Aussage der Juristen nehme ich zur Kenntnis. Ich bedaure in diesem Zusammenhang, dass in der Sachverständigenanhörung die kommunalen Spitzenverbände nicht zu Wort kamen. Denn letztendlich müssen die Maßnahmen auf kommunaler Ebene umgesetzt werden.

  • Schulbetrieb

Sehr bedauerlich – besonders auch für Sachsen -, aber bei bundeeinheitlichen Regelung nun einmal unausweichlich, ist die Wirkung auf den Schulbetrieb in den betroffenen Kreisen und Städten. Sachsen hat mit Wechselunterricht, Testpflichten und Hygienekonzepten Möglichkeiten geschaffen, die neben dem Infektionsschutz die Bildungschancen und die Bildungsgerechtigkeit aller Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. Dies ist nun ab einen Inzidenzwert von 165 nicht mehr möglich.

Trotz dieser Bedenken werde ich heute dennoch dem Gesetz zustimmen. Denn in der Politik geht es auch immer darum, Kompromisse zu machen. Und es bedarf einer letzten nationalen Kraftanstrengung. Alle verfügbaren wirksamen Instrumente müssen deshalb zur Pandemieeindämmung eingesetzt werden, um bis dahin eine akute Überlastung des Gesundheitssystems und der dort Tätigen zu verhindern.

Pandemiebekämpfung muss mehr als Lockdown sein. Wir müssen die erheblichen gesundheitlichen, gesellschaftlichen und bildungspolitischen Konsequenzen sowie großen volkswirtschaftlichen Schäden im Blick behalten. So u.a. eine Dauerbelastung für Familien, die Zunahme an Insolvenzen, Arbeitsplatzverluste, verminderte Einnahmen der Sozialversicherungen. Es geht aber auch um die Folgen für eine ganze Generation an jungen Menschen wie Schülern, Auszubildenden und Studenten. Sie alle brauchen dringend eine Perspektive für die Zeit mit niedrigerem Infektionsgeschehen.

Zentral bleibt: Alle Maßnahmen sind bis zum 30. Juni 2021 befristet!